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Sonntag, 29. Juli 2012

Vom Sinn der Zahlen

Challenge: Die Geschichte muss einen Assistenten am Schluss haben. Sie muss ein Glas Konfitüre beinhalten. Im Laufe der Geschichte wird ein Charakter attackiert.


Hier gehts zur Geschichte meines Kollegen: Das Jahr des Cellos

Nervös kaue ich auf meinem Bleistift. Am hinteren Teil war bereits nichts mehr von der ursprünglichen roten Farbe zu sehen und er glich stattdessen mehr einem braunen Kaugummi. Vor mir auf dem Pult befand sich eine noch ungeöffnete Dose Redbull, eine fast leere Flasche mit Wasser, drei weitere Stifte, ein Radiergummi, mein Ausweis, auf dem ich irgendwie aussehe wie ein betrunkener Pignuin und zwei Stapel Papier. Der grössere beinhaltet meine Notizen und Berechnungen. Das meiste ist durchgestrichen, noch einmal berechnet, wieder durchgestrichen, umrandet von vielen Herzen und kleinen Blümchen. Der kleinere Stapel besteht aus genau drei Blättern. Die Prüfung. Die Abschlussprüfung in Mathematik. Fünf Seiten voller Algebra, Statistik, Wahrscheinlichkeitsrechnungen, Geometrie und anderen Sachen von denen ich nichts verstehe. 

Ich bin nicht dumm. Ich wage sogar zu behaupten, zu der intelligenteren Hälfte der Menschheit zugehören. Ich lese viel, bin immer über das Weltgeschehen informiert, spreche mehrere Sprachen fliessend und weiss zu allem etwas zu erzählen. Ausser zu Zahlen. Ich kann damit einfach nichts anfangen. Man stellt mit ihnen lauter Dinge an, mit denen ich nichts anfangen kann. Berechnungen, deren Sinn ich nicht verstehe. Ich mag Zahlen nicht. Man sagt ihnen nach, präzise zu sein, und dann sind sie es doch nicht. Sie machen Angaben zu Entfernungen, die sich dann, je nach dem wie müde ich bin, doch verschieden weit anfühlen. Zeitangaben, die sich ebenfalls nicht zuverlässig anfühlen. Gerade jetzt scheint jede Minute Stunden zu dauern. Altersangaben, über die ja sowieso jeder lügt. Angaben zum Gewicht, das man sowieso lieber nicht so genau wissen will.

Seufzend blättere ich die Seite um und versuche zum fünften Mal die Gleichung zu lösen. Etwas mit vielen Zahlen und Buchstaben und griechischen Symbolen. Diese Zahlen schaffen es sogar, Buchstaben zu etwas unverständlichem zu machen. So sehr ich es auch versuche, mein X tut nie das, was es eigentlich tun sollte.
Also versuche ich es stattdessen noch einmal mit der Berechnung der Kurve auf der ersten Seite. Eine gechwungene Linie, gefangen zwischen zwei starren Balken die X und Y heissen. Hier bekomme ich wenigstens ein Resultat. Nur leider jedesmal ein anderes, wenn ich es wieder nachrechne. Ich entscheide mich für den Durchschnitt der bisher errechneten Ergebnisse und schreibe die Zahl entschlossen, mit fester Schrift, auf das Lösungsblatt. 

Was solls, denke ich, und schliesse die Augen. Vor mir sehe ich kleine Fünfen und Dreien und Pi’s, mit kleinen Minipistolen bewaffnet schiessen sie auf mich. Von hinten attackieren mich kleine Alphas und Betas. Ich öffne meine Augen lieber wieder  und versuche eine weitere Aufgabe zu lösen. Wahrscheinlichkeitsrechnen. Wieso sollte ich wissen wollen, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, unter 10 Äpfeln einen faulen zu haben?  Es ist mir egal. Dann ist da eben ein Wurm im Apfel drin. Ich finde keinen Apfel essen weniger deprimierend als das Lösen dieser Aufgabe. Dabei habe ich wirklich viel gelernt. Was man mir zumindest ansieht. Denn da ich beim Lernen immer esse, habe ich in den letzten Monaten fast zehn Kilo zugenommen. Ich kann mich einfach besser konzentrieren, wenn ich esse. Es beruhigt mich. Je nervöser ich bin, desto mehr Essen stopfe ich in mich hinein. Gestern, als ich noch ein letztes Mal versucht habe, Mathe zu verstehen, habe ich ein ganzes Glas Quittengelee verschlungen. Einfach so. Mir war nicht mal schlecht danach. Besser verstanden habe ich den Stoff trotzdem nicht. 

Es ist mir überhaupt ein Rätsel, warum von mir verlangt wird, bespielsweise Kurven berechnen zu können. Schlussendlich wird es doch ohnehin denjenigen überlassen, die das gerne machen und vor allem etwas davon verstehen. Was solls. Ich rapple mich auf. Daran kann ich jetzt auch nichts mehr ändern. Ich wollte ja unbedingt diesen Abschluss haben. Dann ziehe ich das jetzt auch durch. Ich greife in meine Tasche nach meinen beiden wertvollen Assistenten: Der Taschenrechner und das Formelbuch. Ich werde es schaffen, wenigstens zwei dieser Aufgaben zu lösen. Das wäre ja gelacht, wenn ich wegen diesen dämlichen Zahlen jetzt durchfallen würde. Diesen Sieg gönne ich den Biestern nicht. Und danach werde ich nie wieder, in meinem ganzen Leben ein Mathebuch in die Hand nehmen. Nie. Wieder.

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Kürzlich habe ich mit einem Freund ein sogenanntes "Writers Challenge" gestartet: Schreibprojekte, bei denen man in kurzer Zeit zu bestimmten Vorgaben einen Text schreiben muss. Alle so entstandenen Geschichten werden hier veröffentlicht, jeweils mit dem Link zum Text meines Schreiberling-Kollegen. 


Viel Spass!