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Mittwoch, 29. August 2012

Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben

Challenge: Eine Figur leiht sich Geld aus, was viel bessere Folgen hat, als erwartet. Im Laufe der Geschichte findet eine Figur heraus, dass jemand vorgetäuscht hat, er/sie zu sein.
Modifikation: Aufgrund von zu heissen Temperaturen (falls sich das für Sie nach einer guten Entschuldigung anhört) waren wir beide etwas einfallslos. Weshalb wir uns darauf einigten, nur einen Teil der Challenge anwenden zu dürfen. Ganz nach persönlichem Wunsch bzw. Kreativitäts-Potenzial. 


Barnabas hatte alles gehabt. Er war ganz oben gewesen um schliesslich ganz unten angekommen. Er hatte Millionen verdient, war nur mit den bekanntesten und reichsten des Landes verkehrt. Ass nur in den teuersten Restaurants. Jeder kannte seinen Namen. Dann hatte er alles verloren. War auf der Strasse gelandet. Zunächst hatte man hinter seinem Rücken über ihn geredet. Aber Menschen sind vergesslich. Nach ein paar wenigen Monaten wusste niemand mehr, wer er war. Längst hatte jemand anderes seinen Platz in der Firma eingenommen, längst lag jemand anderes im Bett seiner Frau, längst spielte jemand anderes mit seinen Kindern. Nicht einmal das störte ihn. Er merkte schnell, dass er diesem Leben nicht nachtrauerte. Und schon gar nicht diesen Menschen, die ihn so schnell und herzlos ersetzten. So lebte er Tag vor Tag vor sich hin, kümmerte sich immer weniger, trank immer mehr, lebte in die Tage hinein. 

Alles änderte sich an diesem einen Tag. Er begann wie jeder andere. Der Lärm der Stadt weckte ihn bereits früh am Morgen. Auch daran hatte er sich gewöhnt. Er setzte sich an die Ecke, an der Männer im Anzug und Frauen in knielangen Röcken und weissen Blusen jeden Morgen zur Metrostation hetzten, in der einen Hand den Kaffee, in der anderen die Financial Times. Diejenigen, die dachten, sie hätten fast alles erreicht im Leben. Die dachten, es ginge ihnen gut und sie leben das Leben, das sie sich immer erträumt hatten. Diejenigen, die noch ein Gewissen hatten. Weshalb er sich hier jeden Morgen genügend Geld für eine Flasche billigen Fusel erbetteln konnte. Danach fischte er sich eine Zeitung aus einer Mülltonne und ging zum riesigen Stadtpark, wo er sich gemütlich auf eine Bank setzte und Ketchup und Kaffeereste von der Zeitung wischte, um diese dann zu lesen. Dieses Ritual war das einzige welches er aus seinem „früheren Leben“ mitgenommen hatte. Obwohl die Welt sich nicht um ihn scherte, berunruhigte es ihn, nicht zu wissen was in ihr los war. In der Regel verbrachte er dann die meiste Zeit des Tages alleine im Park, trank aus seiner Flasche und las in der Zeitung. Aber nicht heute. Heute sollte alles anders kommen. Vielleicht lag es daran, dass Freitag der Dreizehnte war. Vielleicht war es auch Schicksal. 

Er lag auf seiner Parkbank, die fertig gelesene Zeitung diente inzwischen als Kopfkissen, lauschte den Vöglen, hing seinen Gedanken nach und trank hin und wieder einen Schluck aus seiner Flasche. Das war seine Art, das Leben zu geniessen. Er brauchte dazu nicht einmal die Gesellschaft anderer Menschen - sie war ihm sogar eher zuwider. Die meisten Menschen waren entweder zu egozentrisch, befanden sich bildungsmässig auf dem Niveau einer Strassentaube oder waren schlichtweg langweilig. Da war er sich selber ein besserer Gesprächspartner. „Nicht war?“ brummelte er in seinen Bart. Das war auch der Hauptgrund, weshalb er sich strikt nur alle zwei bis drei Wochen wusch. Er hätte nämlich sehr wohl die Gelegenheit gehabt, sich täglich zu waschen. Aber irgendwann hatte er festgestellt, dass, je mehr er stank und desto verwahrloster er wirkte, er nicht nur mehr Geld erbetteln konnte sondern er vor allem in Ruhe gelassen wurde. Die Leute schauten ihn an, rümpften die Nase, warfen ihm vielleicht aus Mitleid einige Münzen zu und zogen weiter ihres Weges. Die anderen Obdachlosen hatten längst begriffen, dass er ein Einzelgänger war.

Aber heute kam dieser Schnösel und setzte sich neben ihn. Und rümpfte dabei nicht einmal mit der Nase. Er holte eine etwas zerknautschte Tüte aus seiner Aktentasche hervor und hielt sie ihm hin. Als würden sie sich kennen. „Was’n das?“ murmelte Barnabas, bemüht, sein Desinteresse zu Tage zu bringen. „Sie wollen doch bestimmt frühstücken, ihr Lieblingsbrötchen!“ Nicht nur, dass er sich einfach so ungefragt zu ihm auf die Bank gesetzt hatte und ihn in seiner Siesta störte, jetzt mass sich dieser Schnösel also auch noch an, sein Lieblingsbrötchen zu kennen. Barnabas war aber auch ein sehr höflicher Mensch - meistens jedenfallls - weshalb er den Mann nicht verjagte. Er zögerte und konnte sich nicht entscheiden, ob er seinem Magen Beachtung schenken sollte, der definitiv noch etwas Nahrung vertragen könnte, oder doch seinem Wunsch nach mental erhoslamer Einsamkeit folgen. Während er überlegte, riss der Mann die Papiertüte auf und hielt ihm das frisch duftende Gebäck unter die Nase. Womit sein Magen als Sieger aus der internen Diskussion ging. Er nahm es entgegen und biss herzhaft herein. Ein Früchtebrötchen! Das könnte tatsächlich sein Lieblingsbrot sein. Sehr lecker. Er bedankte sich mit vollem Mund. Der Mann im teuren Anzug lächelte etwas unterkühlt und blieb immer noch sitzen.
„Schöner Tag heute, was?“
„Mhm…“, nuschelte Barnabas und genehmigte sich einen grossen Schluck Fusel aus seiner leider schon halb leeren Flasche.
„Hat es denn heute geklappt?“
„Hm?“
„Na, sie wissen schon. Der Adler. Und?“ Neugierig schaute er Barnabas an und wiederholte seine Frage noch einmal, als dieser ihn nur anstarrte ohne etwas zu erwidern.
Entweder der hat sie nicht alle, dachte Barnabas, oder der will mich hier verarschen. Und beschloss, mehr aus Höflichkeit, bei dem Spielchen mitzumachen. Anscheinend würde er den Typen so schnell sowieso nicht loswerden. Und wenn er tatsächlich eine Schraube locker hatte, könnte sich doch sogar eine lustige Unterhaltung daraus ergeben. Diese schien sich ohnehin nicht vermeiden zu lassen.
„Ach ja, der. Der Adler. Ja, der flog heute nicht so hoch.“
Besorgt hob sein Gegenüber eine Augenbraue, um dann seinen Blick nachdenklich in die Ferne zu richten. „Das ist nicht gut. Gar nicht gut.“ Im Flüsterton fügte er hinzu: „Aber der Vogel ist erledigt?“
„Ja natürlich. Das Vögelchen singt keine Lieder mehr!“
„Gut, gut. Das ist sehr gut. Na dann, bleiben sie mal auf ihrem Posten!“
„‘türlich!“
Der Mann stand auf, glättete seinen Anzug mit den Händen, nickte ihm noch einmal freundlich zu und verschwand dann in die Richtung, aus der er gekommen war. 

Komischer Kauz, dachte sich Barnabas, ass sein Brötchen fertig und döste dann, die Flasche im Arm, ein.
Kurz darauf wurde er unsanft geweckt. Jemand rüttelte an seiner Schulter. „Hey, du Sack, wach schon auf!!“ Barnabas öffnete ein Auge und blickte in ein junges Gesicht mit kantigen Gesichtszügen. „Mach Platz, Mensch!“ Noch einmal wurde er in die Schulter gestossen, diesmal so fest, dass seine Flasche laut klirrend zu Boden fiel und zerbrach. Die durchsichtige Flüssigkei versickerte langsam zwischen den Steinen. „Jetzt reichts aber! Was ist denn bloss los heute!“, donnerte Barnabas. Das war seine einzige Flasche für heute gewesen. Und er verspürte ganz und gar keine Lust, den restlichen Tag nüchtern zu verbringen. Er wollte soeben den jungen Mann an seinem Shirt packen und ihn anbrüllen, er solle ihm gefälligst eine neue Flasche kaufen, als dieser stattdessen ihn am Kragen packte und zischte: „Also, wie du siehst, haben wir Wind bekommen von der Sache. Und finden es gar nicht gut, aussen vor gelassen zu werden. Das verstehst du doch sicher?“ Er grinste schleimig. Bevor Barnabas antworten konnte, öffnete er seine Lederjacke ein bisschen.Eine kleine, schwarze Pistole blitzte hervor.
„Entweder du leitest alle Informationen unverzüglich an uns weiter, oder du hast die Sonne heute zum letzten Mal aufgehen sehen.“
Barnabas wusste nicht, was er sagen sollte. Die Worte des Jungen schienen ihm sehr theatralisch. Die Pistole jagte ihm keine Angst ein. Der Tod jagte ihm keine Angst ein. Schon lange nicht mehr. Etwas in ihm war schon vor langer Zeit gestorben. Und was sollte nach dem Tod schon erschreckenderes kommen, was er nicht schon zu Lebzeiten gesehen hatte? Vor allem hatte er jedoch keine Ahnung wovon der Halbstarke überhaupt sprach. Heute war ein sehr verwirrender Tag. Vielleicht sollte er in Zuknft doch etwas weniger trinken. Oder eben erst recht noch mehr.  
„Und? Was sagst du, Alter?“ Die Stimme des Typen wurde gefährlich leise.
Barnabas überlegte, dass er den Typen wohl am schnellsten loswerden würde, wenn er ihm einfach zustimmte. „Is ja gut. Ihr bekommt was ihr wollt. Ich sag euch alles.“
„Dann verstehen wir uns ja. Ist übrigens auch das mindeste, was du für uns tun kannst, nach allem. Ich werde da hinten, in Sichtweite, warten.“ Er schloss seine Jacke wieder, stand auf und griff in seine Hosentasche, aus der er einige zerknitterte Geldscheine hervorzog. Er war sie Barnabas vor die Füsse. „Hier, somit bin ich dir nichts mehr schuldig. Kannst dir gleich auch ´ne neue Flasche billigen Fusel davon kaufen. Damit dir auch jeder dein Spielchen abkauft. Und nach der Aktion von heute kann dann wieder jeder seiner Wege gehen.“  Somit entfernte er sich, drehte er sich dann aber noch einmal um: „Komm ja nicht auf falsche Gedanken. Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen.“

Barnabas verstand die Welt nicht mehr. Wagte aber nicht, zuviel darüber nachzudenken. Früher hatte er sehr viel Zeit mit Nachdenken verbracht. Und wohin hatte es ihn letztendlich geführt? Er zählte das Geld und stellte erstaunt fest, dass er von diesem Betrag durchaus einige Tage leben konnte. Was solls, dachte er bei sich, ist die Welt eben verrrückt geworden. Solange es mir zugute kommt, ist mir das egal. Somit zockelte er zum nächstgelegen Supermarkt. Aus den Augenwinkeln sah er, dass der junge Mann ihm in sicherem Abstand folgte. Sollte er doch. Er dachte einfach nicht weiter darüber nach sondern freute sich über den Geldsegen. Zufrieden mit sich und der neuen Welt und einer Flasche Jack Daniels unter dem Arm, kehrte er schliesslich in den Park zurück. Barnabas fühlte sich tatsächlich fast glücklich, ein Gefühl das schon lange nicht mehr von ihm Besitz ergriffen hatte. Nicht, dass er unglücklich wäre. Auch nicht verbittert. Er lebte bloss einfach so vor sich hin. Und obwohl er Störungen in seinen täglichen Routinen, seinen immer gleichen Tagen hasste, schien dieser hier doch noch gutes zu bringen. Er musste grinsen. Plötzlich überkam ihn ein Gefühl inneren Friedens. Das musste wohl von dem ungewohnt edlen Wässerchen her rühren, das er sich heute leisten konnte, dachte er sich. Doch als er sich wieder seiner Parkbank näherte, verging ihm seine gute Laune ein bisschen. Der Schnösel war wieder da. Er wollte gerade in die andere Richtung gehen, aber da befand sich bereits der andere Typ. In einigen hundert Metern Entfernung sass er auf einer Parkbank. Ausserdem hatte der Anzugmensch ihn schon gesehen und winkte ihm zu. Barnabas setzte sich zu ihm. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.
„Na…“, begrüsste er seinen neuen Freund. Dieser war ganz aufgeregt: „Der Adler ist gelandet!“
Jetzt fängt das schon wieder an, dachte sich Barnabas.
„Das hast du doch gesehen?“
„‘Türlich.“
„Und was tun wir jetzt? Welches ist der nächste Schritt?“
„Jetzt sammeln wir die Eier ein.“
„Was?! Jetzt schon? Halten sie das für einen klugen Schachzug?“
„‘türlich. Muss so.“
Der Mann wirkte etwas unsicher. „Naja, sie müssen es ja wissen.“ Er holte ein Blackberry hervor und drückte eine Weile wild darauf herum. „Nun denn, dann mache ich mich wohl besser mal an die Arbeit.“, sagte er schliesslich in einem ruhigen, bestimmten Ton, holte eine Pistole mit Schalldämpfer hervor und drückte ab.

Barnabas hatte nicht einmal Zeit irgendwie zu reagieren, alles ging viel zu schnell. Der Halbstarke kippte lautlos vornüber und fiel zu Boden. Er rührte sich nicht mehr. Nicht einmal geschrien hatte er. Eine Blutlache bahnte sich langsam ihren Weg unter seinem Körper in den grünen Rasen hinein.

Der Schnösel steckte die Waffe wieder weg. „Jetzt aber nichts wie weg. Kommen sie, ich bringe sie nach Hause, damit sie sich umziehen können.“ Er rümpfte die Nase. „Und duschen wäre sicher auch keine schlechte Idee. Sie sind ja schon fast zu authentisch unterwegs!“ Er wollte eben aufstehen, da erklang Britney Spear "Oops I did it again" aus seinem Blackberry. Er runzelte die Stirn und antwortete. Das Gespräch dauerte nicht sehr lange. Die Miene des Mannes vedüsterte sich zunehmends. „Er hat was?!“, blaffte er schliesslich wütend in den Hörer. „Das werden wir noch sehen.“, knurrte er, bevor er auflegte und mit einer ruckartigen Bewegung seine Waffe zog, um sie Barnabas an den Kopf zu halten.
 „Wer sind sie?!“, schrie er ihn an.
„Ich… wer sind denn sie?“, entgegnete Barnabas entgeistert. Der Tag schien doch nicht so gut zu sein wie er angenommen hatte.
„Verarschen sie mich nicht!“, brüllte der Mann. „Was haben sie mit Rodriguez gemacht? Für wen arbeiten sie? Antworten sie mir!“ Er verlieh seinen Fragen Nachdruck, indem er jedesmal mit der Pistole auf seine Stirn einschlug. Definitiv. Kein guter Tag.
„Ich weiss nicht, wovon sie sprechen!“ versuchte Barnabas sich zu verteidigen.
„Haben sie Rodriguez umgebracht? Wer sind sie?!“
„Ich heisse Barnabas.“
„Barna.. was? Wer sind sie?! Verdammte Scheisse, ich habe die ganze Zeit gedacht sie seien Rodriguez! Für wen arbeiten sie, gottverdammt!“
Barnabas antwortete nicht.
Der Mann im Anzug drückte Barnabas Gesicht auf die Bank. Die noch ungeöffnete Whisky-Flasche rollte von der Bank und fiel mit einem lauten Klirren zu Boden.
„Wir werden schon herausfinden, wer sie sind. Sogar ohne dass sie ihr Drecksmaul aufmachen.“ Er stand auf, hielt Barnabas die Pistole an den Hinterkopf, murmelte „Ich hasse es, ihre Gesichter sehen zu müssen.“ und drückte ab. Er steckte die Pistole wieder ein, strich seinen Anzug glatt und verliess den Park ohne sich noch einmal umzudrehen. 

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